100 Versuche über den guten Umgang mit Komplexität
Pandemie, Krieg, Klimawandel, Inflation – die Menschheit hat die Nase gerade relativ voll von Komplexität, Überraschungen, Unsicherheiten, Überforderungen, schwer Verständlichem und allem, was in irgendeiner Weise der Erklärung, der Geduld und des genauen Hinhörens bedarf.
Wien Modern ist bekannt als eines der weltweit größten Festivals für neue Musik – für einen Kunstbereich also, der sich seit den Anfängen der Wiener Schule vor rund 120 Jahren beharrlich den Ruf erworben hat, vor Komplexität keineswegs zurückzuschrecken. Diesen Umstand nimmt das Festival 2022 ganz einfach als Startvorteil. Denn für den Versuch, Komplexität zu leugnen oder auszublenden, ist die neue Musik in all ihrer aktuellen Vielfalt vermutlich genauso wenig geeignet wie unser Planet im Jahr 2022. Die 35. Festivalausgabe präsentiert daher 100 Versuche über den guten Umgang mit Komplexität.
Das beginnt mit einer guten Nachricht: Nach zwei Lockdowns 2020 und 2021 ist es heuer gelungen, für alle verschobenen Produktionen Spielstätten und Termine zu finden – vom Mondrian Ensemble (30.10.) und Mark Barden / Ligia Lewis (04.–05.11.) über Fraufeld (09.11.) und Georg Baselitz (14.–17.11.) bis zur ceremony II von Georg Friedrich Haas (20.11.). Übrigens – wenn es einen Beweis dafür braucht, dass in der Musik höchste Komplexität und schwebende Leichtigkeit kein Widerspruch sind, dann liefert ihn dieses schlicht sensationelle Klangbad mit 75 Instrumenten aus sechs Jahrhunderten, das nun im dritten Anlauf im Kunsthistorischen Museum zu erleben sein wird.
A simple guide to complexity
Musiker:innen verwandeln manchmal auf eine fast magische Weise Komplexität in Schönheit. Wie das geht, erzählen das Ausnahme-Trio Pierre-Laurent Aimard, Jean-Guihen Queyras & Mark Simpson (19.11.) sowie das Arditti Quartet (28.11.) anhand ausgewählter Lieblingsstücke.
Der gekonnte Umgang mit dem Neuen im Wiener Musikleben verdankt sich nicht zuletzt dem kürzlich im Alter von 95 Jahren verstorbenen Wien-Modern-Mitbegründer Lothar Knessl. Deswegen gerät das gemeinsam mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien, ORF Ö1 Zeit-Ton und dem Wiener Konzerthaus präsentierte Festkonzert Lothar Knessl in memoriam (03.11.) ganz klar zum Blick nach vorn – mit neuen Werken von Angélica Castelló, Milica Djordjević, Matthias Kranebitter, Sara Glojnarić und Mirela Ivičević.
Die 30-jährige Sara Glojnarić steht auch im Mittelpunkt beim Erste Bank Kompositionspreis mit dem Klangforum Wien (17.11.). Das Ensemble Recherche verbindet erste und letzte Werke von Altmeister Helmut Lachenmann mit Ur- und Erstaufführungen von Annesley Black und Kristine Tjøgersen (01.11.), das SWR Vokalensemble prominente Premieren von Georges Aperghis, Alberto Posadas und Martin Smolka (Future Memories, 25.11.).
Bunte Formatvielfalt und neue Spielstätten
Heiner Goebbels’ «reifstes und vollständigstes Meisterwerk» A House of Call (Reinhard Brembeck, Süddeutsche Zeitung) erlebt als Koauftrag von Wien Modern am 19.11. seine österreichische Erstaufführung im Volkstheater. Das Schauspielhaus zeigt Angélica Castellós Musiktheateruraufführung Red Rooms (02.–06.11.), eine Art Psychoanalyse von Rotkäppchen, dem Wolf und toxischen Familienbanden. Das sirene Operntheater zeigt René Clemencics Kabbala im Planetarium Wien (31.10.–19.11.) und George Crumbs Makrokosmos mit kinetischen Installationen und Performances im Jugendstiltheater am Steinhof (22.–27.11.).
Weitere szenische bzw. räumliche Neuproduktionen präsentieren Martina Claussen (Blackboxed Voices, 12.–13.11.), der Reaktor (Brauchen, 11.–12.11.) und Peter Jakober (Seitenraum, 17.–18.11.). Georg Friedrich Haas lädt neben der ceremony II zu Raumerlebnissen ins MAK (Iguazú superior, 26.11.) und den Musikverein: Das Claudio Abbado Konzert (06.11.) beginnt mit einem Hörspaziergang im Erdgeschoss.
Das Ensemble PHACE präsentiert zwei große Premieren mit Video und Live-Musik: Stefano Gervasonis Hommage an Pasolini (In Nomine PPP, 23.11.) und Alberto Carretteros Video-Oper zu Zyklen von Geburt und Wiedergeburt am Beginn einer biotechnologischen Revolution (Renacer, 27.11.). Für junges Publikum bringt das brillante New Yorker Quartett Yarn / Wire die große interaktive Neuproduktion The Forest Concerts in den Dschungel Wien (24.–27.11.)
Kreativität für komplexe Zeiten
Inspirierenden Erfindungsreichtum in schwierigen Zeiten beweisen Sofia Gubaidulina und Matthias Pintscher im Eröffnungskonzert mit den Wiener Symphonikern (29.10.). Olga Neuwirth, 2022 mit dem Ernst von Siemens Musikpreis ausgezeichnet, transformiert ihre für Streaming entwickelte coronAtion-Serie zur immersiven, hypnotischen Raum-Musik-Erfahrung in der ehemaligen Otto-Wagner-Postsparkasse und im MAK (13.11.).
Dass aus radikaler Reduktion ganz großes Kino für die Ohren entstehen kann, zeigt The International Nothing beim Abschlusskonzert im Gartenbau-Kino (30.11.): Mit Just None of Those Things hat das Berliner Klarinettenduo 2019–2021 alle Zeit der Welt genutzt für außergewöhnliche, wohltuende Präzision, während rundherum das Chaos tobte.
Apropos Chaos: Das Festivalsujet zeigt ein aktuelles radioastronomisches Bild unserer Galaxie, von der Erde aus gesehen: Hier wohnen wir. Einfacher wird’s nicht. Machen wir das Beste daraus. Viel Vergnügen bei Wien Modern!
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